Vor Staunen über 40 Jahre alte Band-Fotos im Booklet ihrer soeben erschienenen CD kriegen sich einige von den heutigen „BraRoG“-Musikern kaum ein. Vor genau 40 Jahren stehen sie darauf in Gräfenrodas Jugendklub: superschlank, freier Oberkörper, schulterlanges Haar …
Von Klaus-Ulrich Hubert
Gräfenroda – Für die meisten von ihnen ist es mehr als nur Erinnerung, wenn sie nach so langer Zeit heute wieder donnerstagabends, im Rahmen der vor zwei Jahren neu formierten Bigband „BraRoG“ bläserbetonten Brass-Rock proben. In der zum Probendomizil umgebauten früheren Zimmerei seines Vaters sprach Freies Wort mit Matthias Heinemann.
Wie mehrere der heute zwölfköpfigen Band auch bei den Dörrberger Musikanten aktiv, ist er unter anderem Sänger bei „BraRoG“.
Herr Heinemann, als sich auf der 725-Jahr-Festwoche Gräfenrodas „electra“ , die Kultband aus DDRZeiten, auf der Waldbühne Alte Lache aus dem aktiven Musikerleben verabschiedete, schien gleich danach das von „BraRoG“ neu zu beginnen.
Nicht als Vor-, sondern als „Nach-Band“ hatten Sie ein begeistertes Publikum. – Weil?
Weil es eben auch in der Provinz ein Publikum gibt, das handgemachte Rock-, Blues- und Soul-Klänge jenseits des Mainstream-Gedudels der meisten Radiosender zu schätzen weiß.
Wer jemals Fan des bläserbetonten Sounds von „Chicago“, Stevie Wonders „Sir Duke“, von Steve Winwoods „Gimme Some Lovin’“ oder „The Letter“ in Joe-Cocker-Version war, der hatte nach den ersten Beats große Wiedererkennungsfreude … wie die Besucherin Sandra Lenz aus Berlin. Die mailte ihre Bitte um Fotos von der „BraRoG“-Nacht: „Der Abend war ein Highlight! Das gibt es so selbst in Berlin kaum. Wie komme ich an Fotos (…) mit der sensationellen Band aus Gräfenroda, die selbst – meiner Meinung nach – ,electra‘ in den Schatten stellte?“
Ich kriege die Verlegenheits-Röte, gebe das meinen Musikerkollegen weiter, die ja alle fleißig für das 725er-Jubiläumskonzert von zwei Stunden probten.
Wobei aber gute alte Klopper wie „Poem For The People“ von Robert Lamm schon allein 5:33 Minuten dauerten …
… ja, aber dafür Michael Nesmiths „Listen To The Band“ nur 1:42 Minuten. Und Songs von Bands wie „Blood, Sweat & Tears“ haben wir in einem Medley eingedampft, obwohl schon die Altvorderen unserer heutigen Band gerade für deren Sound oder die markanten Bläsersätze von „Chicago“ dahin schmolzen. Einst weiß Gott alles mit dem Honecker-Bild hinter ihnen im Jugendklub.
Als ich Ihre Robert-Lamm-Interpretation von „Questions 67 & 68“ hörte, kamen mir dabei Fragen nach den 67er/68er Jahren. Wer damals mit solch einer Jesus-Haartracht herumlief wie zehn Jahre später die „BraRoG“-Vorgänger der Bernd-Stahl-Formation, der fand sich schon mal schnell als „Gammler“ zwangsweise dem Friseur oder der Arbeit im Tagebau zugeführt.
Tja, trotzdem haben es die Jungs irgendwie hinbekommen. Und die allerersten Anfänge lagen sogar schon um 1960, als der damalige Schuldirektor Erhard Triebenecker und Ludwig Hendrichs Vater das Pionierblasorchester gegründet hatten. Da begann mancher, ohne teuren Musikunterricht zu spielen. Nicht nur das Lied vom „Kleinen Trompeter“.
Anfang der 70er Jahre wurde Gräfenroda ein Mekka der Rock- und Bluesszene. Fans aus halb Thüringen trampten dorthin, weshalb ja auch „electra“ mit vielen guten Erinnerungen ihre Abschiedstour kürzlich zu euch legten …
… wie Sie es selber sagten. Im Jugendclub luden unsere Jungs jede Woche zur Disco ein, organisierten große Rock- und Blues-Events. Zu Hunderten kamen junge Leute aus nah und fern. Unser Club war bald einer der angesagtesten. Die meisten großen DDR-Bands tourten hierher. Die und gute Songs aus dem Westen inspirierten, selbst zu musizieren.
Seit 1970 gab es an der Penne in Arnstadt bereits die Schülerband „Amon Re“, in der Klaus Uhlworm am Schlagzeug, unser Saxophonist und Sänger Ralf-Dieter Lehwald sowie – auf dem Bass – Bernd Stahl mitspielten. Zeitweise war da schon Joachim Abendroth als Sänger dabei.
Da waren die aber noch nicht mal 18 Jahre jung …
… ich ganz und gar noch in der Grundschule (lacht). Als Schülerband war spätestens 22 Uhr Schicht im Schacht. Das schöne brave Wörtchen „Tanztee“ kennen Sie ja auch noch. Hier wurden die Grundlagen für weiteres eigenes Musikmachen gelegt. Nachdem einige 1974 vom NVA-Dienst kamen, ging’s bald an die Gründung einer neuen Band. Musikalisch vorgeprägt waren viele durch das Blasorchester Gräfenroda.
So war die stilistische Richtung – voll im weltweiten Trend der damaligen Zeit – früh festgelegt: Rock, Blues, Soul, Jazz. Titel von Gruppen wie „Chicago“ bis „Blood, Sweat & Tears“ liefen im Jugendclub rauf und runter, man hatte bereits die kultigen West-LPs und Tonbandmitschnitte.
Und die Texte zum Selbersingen?
Fleißarbeit – wie auch die Noten nach Gehör rausschreiben! Immer wieder das Tonbandgerät „ZK 120“ stoppen, schreiben, weiterspielen lassen, schreiben … Heute kaum noch nachvollziehbar. Instrumente waren zum Teil vom Blasorchester her vorhanden. Das Equipment indes: sehr spartanisch! Außer einem etwas hochwertigeren Mikrofon – fast alles selbst gebaut. Bald präsentierte die „Bernd-Stahl-Formation“ erste Songs. Gründungsmitglieder waren: Sänger Joachim Abendroth, Drummer Klaus Uhlworm, Bassist Bernd Stahl, Gitarrist Wigand Heß, Manfred Oschem und Joachim Hopf an den Trompeten, Ralf-Dieter Lehwald auf dem Saxophon sowie die Posaunisten Volkmar Nüchter und Ludwig Hendrich. Geprobt wurde übers volle Wochenende – der Club zur zweiten Heimat. Obendrein die jeweiligen Abendveranstaltungen.
Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt. Und die DDRKulturoberen die Pflicht-Einstufung durch die Abteilung Kultur vom Rat des Kreises …
… zu der natürlich auch DDR-Titel eingeübt werden mussten. Es galt das stets geschickt umschiffte Verhältnis 60 Prozent Ost zu 40 Prozent West. Man bekam die „Mittelstufe gut“ – für eine erste Einstufung gar nicht schlecht. Stolz ließ man sich sogar Visitenkarten drucken. Bei einem Übungslager zusammen mit dem Blasorchester nahe Schwerin konnte man weiter am Können feilen. Unlösbare technische Probleme mit dem Transport der Anlage oder der Einzug von Musikern zur Armee sorgten 1976 leider dafür, dass die Gruppe in damaliger Aufstellung auseinanderfiel. Als alle die „Fahne“ hinter sich hatten, starteten einige Musiker 1978 einen neuen Comeback- Versuch der Band. Da aber einige Mitglieder des ursprünglichen Bläsersatzes inzwischen bei anderen Bands spielten oder familiär „ausgebucht“ waren, wurden neue Repertoires nötig. So tourte man bis Mitte 1982 erfolgreich durch Thüringen. Bald gab es weitere Umbesetzungen, man musste aktueller Pop- und Stimmungsmusik Rechnung tragen, konnte so auch gängige Tanzveranstaltungen bedienen. Bis ins Frühjahr 1989.
Die Wende dann mit ihren Unsicherheiten etwa der Schlussakkord?
Jein! Die Bernd-Stahl-Formation war längst Geschichte, man spielte als „Aspekt“, daraus wurde „Sound Royal“ und so weiter. Bis im Vorfeld eines Rockmusik-Freunde-Treffens im Forsthaus Gräfenroda, September 2010, einige Ehemalige ein kleines Programm auf die Beine stellten. Als zwei Jahre später unser Techniker Horst Hertwig zur Party seines 65. Geburtstages einlud, gab’s von verschiedenen Bands musikalische Geschenke. Zuerst Noten beschafft und dann: Manfred Oschem hatte sich nach einem Vierteljahrhundert Musikabstinenz wieder ein Flügelhorn gekauft, fleißig geprobt …
Wodurch Hertwigs Geburtstag zum Wieder-Geburtstag der Band wurde?
Exakt. Dieses Datum war der Neuanfang.
Nach mehr als 35 Jahren spielten „die Jungs“ (lacht) fast in alter Originalbesetzung. Der Spaß am gemeinsamen Musizieren flammte neu auf, sorgte dafür, eine Neugründung der Band anzugehen. Leider war der Mitgründer und Band-Namensgeber Bernd Stahl zu dieser Zeit bei einem tragischen Unfall gestorben. Ihn ersetzte Norbert Wenzlaff. Der einstige zweite Trompeter, Joachim Hopf, wurde bereits in den 70er Jahren durch einen Unfall aus dem Leben gerissen. An seine Stelle trat Dirk Hiebel. Für Ludwig Hendrich, der nach Rosenheim zog, kamen Sven Lanua als Posaunist und als Keyboarder Michael Schmidt sowie ich als Sänger und Posaunen-Mann hinzu. Allesamt „Leihgaben“ der Dörrberger Musikanten. Auch Manfred Uhlworm stieg ein: Backroundgesang und Percussions.
2013 überschritten weitere Bandmitglieder die 60er-Marke: sechzig Jahre …
… und kein bisschen leiser! So entstand die Idee, eine Geburtstagsparty mit den ersten einstudierten Titeln auf die Beine zu stellen. Voller Erfolg! Das Repertoire wurde schon im Folgejahr auf Konzertlänge erweitert. Auch mit dem Ziel der 725-Jahr-Festwoche. Es war keine Bierlaune, als uns Horst Hertwig anbot, mit seinem Equipment eine Demo-CD zu produzieren. Langwierige Arbeit – von November 2014 bis Juli 2015 im Probedomizil der Dörrberger. Aber allen hat es richtig viel Spaß gemacht!
Unübersehbar für das Fest-Publikum, das wohl ein bisschen den genannten Mainstream-Dudelfunk satt hat. Wann kann man „BraRoG“ wieder öffentlich hören oder engagieren?
Am 19. September gaben wir ein Benefiz-Konzert für die Erhaltung der Kirchenorgel in Holzhausen. Wer unser Programm „einkauft“, sollte natürlich wissen: Samt unserem Bandleader Ralf-Dieter Lehwald, der vom Notenschreiben bis zur gemeinsamen Repertoire-Auswahl den Hut auf hat, sind wir der Meinung – wir wollen und müssen keine Party-Bespaßungs- und Stimmungsband sein. Derer gibt’s genug. Unsere zwölf Musiker treten eher konzertmäßig auf, aber keiner wird gebremst, der dabei zum Tanzen inspiriert wird. Soll ja die Gesundheit fördern.
Die wünschen wir uns beim Band-Altersdurchschnitt jenseits der 50 natürlich auch selber.
Interview: Klaus-Ulrich Hubert
Erschienen am 24.09.2015, Freies Wort, Ilmkreis: